"Struggling Readers"
Ruth Schoenbach und Cynthia Greenleaf bezeichnen die Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern beim Lesen und Verstehen von Texten als die Grenze der Lesefähigkeit - eine Grenze, die bestimmt, was Schülerinnen und Schüler sowohl im Unterricht wie auch im Leben außerhalb der Schule bestenfalls erreichen. („Lesen macht schlau“, S.19, Cornelsen scriptor, Berlin 2006)
Je weniger es Schülerinnen und Schülern möglich ist, sich eigenständig Zugang zu Wissen und Informationen in Büchern und anderen Textmaterialien zu verschaffen, die durch den Lehrplan vorgegeben sind, desto häufiger müssen Lehrerinnen und Lehrer alternative Möglichkeiten anbieten, um diesen schwachen Leserinnen und Lesern dieses Wissen und die Informationen zu vermitteln.
Viele Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I weisen der Grundschule - zumindest teilweise - die Schuld zu. Andere bedrückt ein Gefühl des Unvermögens und der Ratlosigkeit nach dem Motto: „Ich als Fachlehrer kann nicht auch noch die Grundlagen des Lesens vermitteln!“
Schülerinnen und Schüler, die ständig mit den Schwierigkeiten konfrontiert sind, die ihnen unbekannte Texte und Aufgabenstellungen bereiten, haben einen sehr viel persönlicheren Grund zur Sorge: Für sie ist das Lesen etwas Rätselhaftes und sie sind zu der Überzeugung gelangt, dass sie nicht dafür geschaffen sind, Texte zu lesen und zu verstehen. Sie passen sich den Schwierigkeiten an, indem sie häufig Leseaufgaben gänzlich vermeiden und darauf warten, dass die Lehrerin oder der Lehrer ihnen sagt, was sie wissen müssen. Andere werden ganz leise oder auch laut, indem sie provozieren und stören und wiederum andere resignieren und drücken so aus: „Mir ist die Schule völlig egal.“
In diesem Sinne beschreibt die so genannte PISA - Risikogruppe das Phänomen nur unzureichend, während Johnny (s. Einleitungstext zu „Kompetenzen und Herausforderungen“ - noch nicht vorhanden!) dem Problem näher kommt.
Im Rahmen eines Sokrates - Projekts der Europäischen Gemeinschaft ADORE „Teaching struggling adolescent readers“ einigten sich die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 11 europäischen Ländern auf eine Definition der schwachen Leser/-innen. Diese gehören zu der Altersgruppe der 12 - 18 Jährigen. Sie sind bereits Leser/-innen und keine Analphabet/innen. Sie haben allerdings noch nicht die Lesefähigkeit entwickelt, die es ihnen ermöglicht, den Anforderungen z.B. eines sich schnell wandelnden Berufslebens gerecht zu werden. Die meisten von ihnen haben kein stabiles Selbstkonzept als Leser entwickelt. Sie haben massive Schwierigkeiten in den Bereichen des Dekodierens, der Leseflüssigkeit, des Leseverständnisses, der Nutzung geeigneter Lesestrategien, der Lesemotivation sowie der metakognitiven Fähigkeiten.
Die PISA-Studien definieren einen Minimalstandard mit Kompetenzstufe 2. Wer darunter liegt gilt als „schwache/r Leser/-in“. In Hessen beträgt der Anteil nach letzten Untersuchungen (2009) immer noch 20 %.
Als Vertiefung und Erläuterung finden Sie im Anschluss eine Zusammenfassung der Ergebnisse des ADORE Projekts von Garbe, Holle et.al. (2009) sowie mehrere Aufsätze von Autorinnen und Autoren des Instituts für Qualitätsentwicklung Hessen zur Beschreibung der PISA Risikogruppe.
Empfehlungen zur Förderung finden Sie im Unterkapitel Praxishilfen Unterrichtsebene.
R. Schummer-Hofmann, AfL 2010