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Grundprinzipien

Die Grafik „Grundprinzipien unterrichtlichen Handelns“ (1) veranschaulicht den aktuellen Stand der Unterrichtsforschung zur Entwicklung kompetenzorientierter Lehr- und Lernarrangements. (2) Sie bietet damit - trotz der Komplexität dieses Gegenstandes - für die Hand des Lehrers und für alle Fächer eine klare Orientierung sowohl für die Planung  als auch für die Bilanzierung bzw. Überprüfung seines Unterrichts.

Ein Unterricht, der den „Grundprinzipien unterrichtlichen Handelns“ folgt, ist deutlich strukturiert und unterstützt auf eine auch systematische Weise die Realisierung sowohl fachlicher als auch überfachlicher (3) Ziele eines kompetenzorientierten Unterrichts. Und kompetenzorientiert lehren und lernen bedeutet, Unterrichtsaspekte zu fokussieren, wie zum Beispiel Ziel- und Arbeitstransparenz, eine Orientierung an (fachspezifischen und fachübergreifenden) Kompetenzerwerbsmodellen, die Förderung eines positiven Selbstkonzepts als Lerner, individualisiertes und kooperatives Lernen und  die Trennung von Lernzeit und Leistungsbewertung bzw. eine den (individuellen) Lernprozess begleitende Bewertung.(4) Ein derart angelegtes Lehr- und Lernarrangement - das auch Lerngelegenheiten für individuelles Lernen unter Berücksichtigung von Heterogenität und der verschiedenen Lern- und Leistungspotentiale aufzeigt - hat wiederum Auswirkungen auf den Schüler: Es unterstützt dessen Motivation, sich auf die fachlichen Anforderungen einzulassen, dadurch werden Leistungsfähigkeit und Lernleistung gefördert, zu einem Aspekt seines Leistungsmotivs wird nun auch seine Kompetenzerfahrung und (s)ein sich positiver entwickelndes  Selbstbewertungskonzept. Eine Orientierung an den „Grundprinzipien unterrichtlichen Handelns“ ebnet Wege für ein nachhaltiges Lernen(5): Allein schon durch die Fokussierung der Aspekte „Aktivierung von Vorwissen - Problematisierung - Hypothesenbildung“ kann der Lehrer genauer eruieren, welches Wissen und Können(6) er bei den Schülern voraussetzen kann und welche Inhalte, Lernaktivitäten etc. er zur Förderung bestimmter Kompetenzen sinnvoller Weise auswählt - so kann auch eine Ausbau- und Anschlussfähigkeit von Wissen und Können auf Seiten der Schüler gelingen. 

Die  verschiedenen Elemente bzw. Bereiche  der „Grundprinzipien unterrichtlichen Handelns“ erscheinen für den Leser der Grafik möglicherweise in einer (scheinbar) festgelegten Reihenfolge. Bedeutend ist jedoch lediglich, dass eine bestimmte Kombination bzw. ein bestimmtes Arrangement von Lehr- und Lernprozessen als sinnvoll belegt ist.(7)   Es bedeutet aber auch, dass im Unterricht nicht immer alle Elemente eine Rolle spielen müssen oder können. Je nach den durch den Lehrer (oder auch gemeinsam mit den Schülern) formulierten unterrichtlichen Zielsetzungen beginnt oder schließt eine Unterrichtsphase an einer bestimmten „Station“. Je nach diesen Zielsetzungen und dem tatsächlich durch die Schüler erworbenem Wissen und Können, ist es denkbar, dass einzelne Stationen zum wiederholten Male „Trainingsfeld“ werden. So ist es beispielsweise im Hinblick auf eine Unterrichtssequenz zu einer literarischen Epoche möglich, lediglich die Elemente „Aktivierung von Vorwissen“, das „Portfolio“ und die „Präsentation“ in einem Lehr- und Lernarrangement zu kombinieren.

Die Stichwörter in den einzelnen Stationen bzw. Elementen machen für den Lehrer sozusagen in Form einer „Gedankenstütze“ die verschiedenen unterrichtlichen Schritte transparent und nennen hierfür entsprechende Möglichkeiten unterrichtlichen Handelns. So weiß man z.B. inzwischen um die außerordentliche Bedeutung der Aktivierung von Vorwissen, da nachhaltiges Lernen nur über das Andocken an Vorwissen möglich wird. Die Auswahl von Material und das Anforderungsniveau der Aufgabenstellungen sollte sich an Beobachtungen bzw. Lernstandsbestimmungen orientieren(8), von Überlegungen begleitet, welche Strategien, Methoden und Lernwege sich zu dessen Erschließung eignen. In dieser Weise bietet die Grafik weitere Anregungen für Lehr- und Lernarrangements, die das nachhaltige Lernen fördern: den Einsatz von Kompetenzrastern, Selbsteinschätzungsbögen und individuelle Lernkontrollanalyse, die Arbeit mit dem Portfolio, Möglichkeiten für eine Orientierung im Lernprozess, eventuelle Variationen im Lernarrangement zu bedenken und in den Blick zu nehmen, was nach der Lernkontrolle, Präsentation o.Ä. als Förderung möglich sein könnte. Die Grafik verweist aber zudem auch auf die Notwendigkeit motivationaler Komponenten des Lernens und „erinnert“ z.B. an kooperative Lernformen.(9)

Gleichzeitig verweisen die Stichwörter in den einzelnen Elementen vertiefend auf daran angekoppelte Erkenntnisse der Unterrichtsforschung, wie z.B. auf Möglichkeiten der systematischen Förderung von (Teil)Kompetenzen der Textverstehenskompetenz.(10)

Immer aber sollte es in einem kompetenzorientierten Unterricht drei wesentliche Schritte bzw. Phasen in dieser Abfolge geben: Strukturierung - Differenzierung - Präsentation. Entsprechend dieser Ausführungen kann beispielsweise die Verortung verschiedener Schritte in der Förderung von Lesekompetenz vorgenommen werden: Der Schritt „Lesenlernen initiieren“ (Strukturierung) wäre demnach den Elementen „Transparenz der Zielsetzungen“ und „Problemorientierung, Aktivierung von Vorwissen, Hypothesenbildung“ und „Förderdiagnostik“ zuzuordnen. Ein Folgeschritt „Lesenlernen organisieren“ bzw. „Lesenlernen begleiten“ (Differenzierung) findet sich in den Elementen „Förderung durch Lernarrangements“(11) wieder und der Schritt „Lesenlernen bilanzieren“ (Präsentation und Reflexion) in den darauf folgenden Elementen der Grafik. Die Phase der Differenzierung birgt im Idealfall für den Schüler zusätzlich eine „Wahldifferenzierung“. Dies könnte dann zum Beispiel nicht nur ein zu rezipierender Text, sondern dem Schüler stünden mehrere zur Auswahl: Themenvariation, verschiedene Anforderungsniveaus, Genderaspekte berücksichtigend. Wahldifferenzierung kann auch in anderen Unterrichtsphasen realisiert werden: So könnten für den Schüler mehrere Lernwege offenstehen, es gäbe verschiedene Möglichkeiten zu präsentieren.(12)   

 

Diese Anlage von Unterricht hat zudem weitere positive Auswirkungen, zum Beispiel auf das Lernklima und auf die Beziehungsebene sowohl zwischen Lehrer und Schüler als auch zwischen den Schülern. Dies korreliert mit der Veränderung der Art und Weise der Kommunikation im Klassenraum, und auch die Inhalte dieser Kommunikation verändern sich. Darüber hinaus wandeln sich die Rolle des Lehrers und die des Schülers durch ein Mehr an kooperativen Elementen im Lehr- und Lernarrangement: Der Lehrer wird auch zum Lernbegleiter oder Lernberater, der Schüler agiert eigenverantwortlicher. Die Unterrichtssituation entspannt sich. 


(1) Dies wird z.B. hinsichtlich folgender überfachlicher Kompetenzen möglich: personale Kompetenz (angemessene Selbstwahrnehmung, positives Selbstbild, Motivation etc.), Sozialkompetenz (Kooperations- und Teamfähigkeit etc.), Lern- und Arbeitskompetenz (gezielter und reflexiver Einsatz von Lernstrategien etc.), Sprachkompetenz. Vgl. auch „Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Sekundarstufe I - Realschule. Entwurf - Stand Dezember 2009“, S. 9.

(2) Weiterhin kann mit derart angelegten Lehr- und Lernarrangements z.B. auch die Lernerautonomie (selbstgesteuertes, interessegeleitetes, eigenverantwortliches Lernen), Strategiewissen, Methodenkompetenz, Lehr- und Lernreflexion  gefördert werden.

(3) Eine von Lehrern häufig genannte und in deren Lehrbiografie als demotivierend verarbeitete Erfahrung ist, dass „Dinge, die ich doch durchgenommen habe“ nicht mehr „abrufbar“ sind. Eine Orientierung an den „Grundprinzipien unterrichtlichen Handelns“ eröffnet nun Perspektiven in Richtung auf eine Anschluss- und Ausbaufähigkeit von Wissen und Können.

(4) Über welche (Teil)Kompetenzen verfügt der Schüler also bereits, welche sollen anhand eines bestimmten fachlichen Themas gefördert werden? Wird der Blick von dieser Richtung her auf die Planung von Unterricht gerichtet, verändert bzw. differenziert sich die didaktische-methodische Perspektive.

(5) Vgl. dazu die Ergebnisse der Unterrichtsforschung.

(6) Bezüglich der Auswahl von Texten gilt es z.B. zu fragen, auf welchem Textverstehensniveau sich der Schüler bewegt, um von diesem Schwierigkeitsgrad ausgehend Anschlussmöglichkeiten zu realisieren.

7) Eine kooperative Lernform ist z.B. die Gruppenarbeit. Bei dieser geht es in der Regel um ein möglichst gutes Teamergebnis, Gestaltung und Organisation der Gruppenarbeit folgen jedoch nicht immer diesem Ziel. Warum sollte den Schülern nicht möglich sein, was bei Teamarbeit sonst selbstverständlich ist, nämlich in einer Bestandsaufnahme (Strukturierung) den Gruppenmitgliedern diejenigen Arbeitsaufträge zuzuweisen, die sie in der Erarbeitungsphase (Differenzierung) am besten erledigen können und das Gleiche könnte für die Präsentation gelten.  

(8) Vgl. Sabine Keiner, Lernstrategien und Textverarbeitungsstrategien. Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen in verschiedenen Domänen. Eine Synopse. 2009. Vgl. dazu z.B. auch Mandl/Friedrich, 2006, Streblowski 2004. Selbstverständlich ist das Ausmaß vertiefender  Verweise begrenzt; es ist evident, dass dies die Möglichkeiten eines solchen „Modells unterrichtlichen Handelns“ sprengen würde. Vielmehr wird vom Nutzer „verlangt“, dass dieser wie in einer mind-map selbst Weiteres für die Planung, Durchführung und Begründung seiner Lehr- und Lernprozesse daran andockt, wie beispielsweise das Konzept „Reading Apprenticeship“ („Lesen macht schlau“) im Kontext der Planung von Unterricht zur Förderung der Lesekompetenz oder handlungs- und produktionsorientierte Aufgabenstellungen - die in Deutschland seit den 70er Jahren Eingang in die verschiedenen Fachdidaktiken gefunden haben und Anregungen und Beispiele für Performanzsituationen (vgl. Anm. 8)  bieten -  im Kontext literaturanalytischer oder gesellschaftswissenschaftlicher Reflexionen.   

(9) in denen es für den Schüler genügend problemorientierte und anwendungsbezogene Lernsituationen (Performanzsituationen) gibt. Im Idealfall stehen Lösungsvarianten bereit.

[10)Über die durch den Lehrer angebotenen Lernwege und Präsentationsmöglichkeiten hinaus, könnte dem Schüler eine weitere Wahldifferenzierung zur offenstehen, nämlich eine von ihm selbst gewählte. 

(11) in denen es für den Schüler genügend problemorientierte und anwendungsbezogene Lernsituationen (Performanzsituationen) gibt. Im Idealfall stehen Lösungsvarianten bereit.

(12) Über die durch den Lehrer angebotenen Lernwege und Präsentationsmöglichkeiten hinaus, könnte dem Schüler eine weitere Wahldifferenzierung zur offenstehen, nämlich eine von ihm selbst gewählte. 

Dr. Sabine Keiner, AfL 2010