Hessischer Bildungsserver / Arbeitsplattformen

Einführung in das Kapitel "Praxishilfen Unterricht"

Lesen lernen gilt als hochkomplexer Prozess, bei dem verschiedene Lesestrategien textbezogen eingesetzt werden. Diese komplizierte Klaviatur unterschiedlicher Herangehensweisen bleibt jedoch im Unterricht ein wenig aussichtsreiches Unterfangen, wenn  kein individueller oder persönlicher Bezug zum Text hergestellt werden kann, wenn das Lesen ein Absolvieren von mehr oder minder mechanisch aneinandergereihten Aufgaben bleibt.Jeder Text erhält seine Bedeutung durch den Blick des Lesers.Lesen gestalten bedeutet, seinen eigenen Leseprozess zu begleiten und selbstbewusst zu steuern. Texte können nicht passiv rezipiert werden, vielmehr ist das Lesen eine aktive Tätigkeit, die eine Anleitung zum Handeln impliziert. Wenn sich ein Schüler oder eine Schülerin für das eigene Lesen verantwortlich macht, findet er oder sie individuelle Zugänge zu Texten und schließlich ein tieferes Verständnis des Gelesenen.

Textverständnis kann ein kooperativer Prozess werden, eine gemeinsame Unterrichtstätigkeit, bei der jeder Schüler und jede Schülerin die je eigenen Kompetenzen einbringt, Vorwissen gemeinsam aktiviert wird und dem Text kollektive Bedeutsamkeit verliehen wird.

Lesen muss als ganzheitlicher Vorgang betrachtet werden, der die personalen und sozialen Bedingungen der Leserinnen und Leser einbezieht, auf ihren selbstgesteuerten Umgang mit Lesestrategien zielt und dabei die speziellen Schemata der unterschiedlichen Fächer im Blick hat.

 Reading Apprenticeship - eine Leselehre

(im Folgenden beziehe ich mich auf die deutsche Ausgabe „Lesen macht schlau. Neue Lesepraxis für weiterführende Schulen. Herausgegeben von Dorothee Gaile. Cornelsen Scriptor Verlag, Berlin, 2. korrigierte Ausgabe 2007. Original: Schoenbach, Ruth, Cynthia Greenleaf, Christine Cziko, Lori Hurwitz:„Reading for Understanding.“  published by Jossey-Bass, San Fancisco, 1999)

Lesen ist ein Vorgang, der gelernt werden kann. In diesem Sinne gestalten die amerikanischen Initiatorinnen der „Leselehre“ das Lesenlernen wie eine klassische handwerkliche Lehre. Der Lehrer bzw. die Lehrerin übernimmt dabei die Rolle des Lesemeisters, der quasi seinen Kopf öffnet und die Schülerinnen und Schüler sein eigenes Lesen, und als kompetenter und bewusster Leser sein kompetentes Lesen, vorführt.

Dabei wird der Leseprozess in einzelne Segmente und Sequenzen unterteilt, die vom Lehrer oder der Lehrerin vorgestellt und vorgeführt werden. Dieser Vorgang nennt sich Modelling, es handelt sich also um ein Lernen am Modell. Als Beispiel dafür steht die Checkliste für das Laute Denken, da hier die verschiedenen Strategien beim Lesen einzeln vorgeführt und geübt werden können. Man spricht in dem Zusammenhang auch davon, dass die Lehrperson der Lesemeister ist, die Schülerinnen und Schüler die Lehrlinge.

 Hierbei spielt die Metakognition, das Bewusstmachen der eingesetzten Lesestrategien eine besondere Rolle. Das, was sich normalerweise im Kopf eines kompetenten Lesers abspielt, der hochkomplexe Prozess des Lesens, wird in seine einzelnen Bestandteile aufgelöst, nacheinander eingeführt und geübt. Das Unsichtbare wird sichtbar gemacht: Annäherungen an und Auseinandersetzungen mit dem Text, Gedanken, die einem beim Lesen durch den Kopf gehen, Zusammenhänge, die man herstellt, Bedeutungen, die man dem Text verleiht, persönliche Bezüge, die man zum Text aufbaut und natürlich Strategien zum Textverständnis, die man anwendet, um den Text zu verstehen. Ein kompetenter Leser wechselt permanent beim Lesen seine Strategien, setzt sie zielbewusst ein und überprüft immer wieder sein Textverständnis.

Die Schülerinnen und Schüler tauschen dabei ihre eigenen Reflexionen aus, wofür im Unterricht in einer von Zusammenarbeit getragenen Arbeitsatmosphäre Raum geschaffen werden muss.

 Metakognition gilt als der Erfolgsfaktor beim Erreichen von persönlicher Bestleistung, metakognitive Selbststeuerung hat einen überragenden Einfluss auf den Lernerfolg. Es geht darum, persönliche Schwächen zu erkennen, vorauszusagen und überlisten zu können, kritisch und effektiv über die eigenen Denk- und Verhaltensweisen nachzudenken und sie ständig zu überprüfen, zu verändern und aktiv zu steuern. Der Austausch darüber ist nutzbringend für die gesamte Lerngruppe, der Lernfortschritt wird greifbar, gesichert und kann gesteigert werden, wenn die einzelnen Schritte betrachtet und reflektiert werden. Das Sprechen über das Lernen und hier über das Lesenlernen ist Voraussetzung für einen nachhaltigen Leselernprozess.

Gerade jugendliche „struggling readers“ profitieren von diesem ganzheitlichen Lesekonzept, bei dem sie ihr Lesen selbst begleiten und steuern.

 4 Dimensionen

(Die vier Dimensionen des Lesens nach Schoenbach und Greenleaf)

Die Reflexion über die Schwächen und Stärken jeder Schülerin und jeden Schülers (die so genannte personale Dimension) sind integraler Bestandteil von „Lesen macht schlau“ ebenso wie die biografische und soziale Bedeutung von Lesen.

Die unterschiedlichen Leseweisen innerhalb der Klasse oder Lerngruppe werden in kooperativen Prozessen ausgetauscht, verhandelt und diskutiert. Hier spricht man von der sozialen Dimension.

Zur kognitiven Dimension finden sich Informationen im Kapitel „Lesestrategien“. Die wissensbildende Dimension bezieht sich auf den Einsatz der Methoden (s. Lesestrategien - Einführung) sowie auf die Inhalte der jeweiligen Fächer, hierzu sind im Kapitel „Textverstehen in allen Fächern“ beispielhaft Anregungen und Materialien für die Fächer  Mathematik, Chemie, GL und Englisch bereitgestellt.

 J. Jasper, Afl 2010