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Diagnose und Förderung

Diagnose ist die notwendige Voraussetzung um bei der Förderung von Schülerinnen und Schülern eine Passung von Angebot und Lernvoraussetzungen zu erreichen. Es geht darum, das Förderangebot möglichst den individuellen Voraussetzungen aller Schülerinnen und Schüler anzupassen. Dafür muss ich mir als Lehrperson vor, während und nach dem Prozess der Förderung immer wieder einen Überblick über den Stand meiner Schülerinnen und Schüler verschaffen. Es geht auch darum, das entsprechende Fördermaterial zu prüfen, ob dieses für die Schülerinnen und Schüler angemessen ist.

In diesem Kapitel wird Ihnen zunächst in einem einführenden Basisartikel das zu Grunde liegende Verständnis von Diagnose und Förderung vorgestellt. Vertieft und ergänzt wird das Ganze mit einem Aufsatz zu Diagnostik im Unterricht, in dem der/die interessierte Leser/-in einen Einblick in den angemessenen und kompetenten  Umgang mit förderdiagnostischen Verfahren erhält sowie einem Vortrag des Bremer Professors Rudolf Kretschmann zum Thema Pädagogische Diagnostik.

Am Modell des Förderkreislaufs des Schweizer Schulberaters Fritz Zaugg wird erkennbar, an welchen Stellen im Verlauf einer Unterrichtseinheit/’Sequenz diagnostische Verfahren eingesetzt undihren Stellenwert haben können.

Schließlich werden Methoden und Verfahren dargestellt, die Diagnose im pädagogischen Sinne unterstützen:

Standardisierte Verfahren (Tests), Lesetests ohne Standardisierung, summative  und formative Verfahren sowie Raster zur Beobachtung und Einschätzung der Lesefähigkeit  erläutert und zum Teil mit exemplarischen Ergänzungen dargestellt.

Kern eines Prozesses, der das (Lesen)lernen überprüft, ist die Förderdiagnostik. Bei ihr geht es vor allem um die  Analyse von Lernprozessen und  Lernergebnissen wie auch der beim Schüler vorhandenen Ressourcen. Der Vergleichsmaßstab ist nicht die Lerngruppe oder ein anderer externer Maßstab sondern der  Stand im Lernprozess. Für den Lehrer oder die Lehrerin bedeutet dies, dass zu einer Diagnose in diesem Sinne vertiefte Kenntnisse der Fachdidaktik (z.B. Stufen im Leseerwerbsprozess, Lesestrategien …) sinnvoller sein können als die Ergebnisse von z. B. standardisierten Testverfahren.

(Lesen)-lernen überprüfen kann sowohl am Anfang wie auch am Ende einer Unterrichtseinheit stattfinden, die sich an den Strukturprinzipien eines Förderkreislaufs  orientiert. Damit  Lehrer/-innen Zeit für notwendige diagnostische Maßnahmen haben, sollten sie ihren Unterricht im Sinne des Förderkreislaufs organisieren und planen. So können sie ihren Sinn am Ende einer Unterrichtseinheit im Sinne einer summativen Lernkontrolle  zur Bilanzierung des Lernerfolgs haben wie auch am Anfang zur Feststellung einer Lernausgangslage. Immer aber sollen sie die  Grundlage für weitere Förderung sein. In diesem Sinne bieten sich für die Überprüfung des Lernstandes bzw. der Lernausgangslage sowohl standardisierte wie auch informelle Verfahren an.

Während des Lernprozesses - insbesondere bei offenen Aufgabenstellungen - ist es sinnvoll, diesen mit Hilfe formativer Verfahren  zu begleiten und zu steuern. Diese liefern sowohl den Schülerinnen und Schülern wie auch den Lehrerinnen und Lehrern Informationen darüber, wo der oder diejenige sich im Lernprozess befindet, wo es noch Schwierigkeiten gibt und was noch für eine  notwendige Förderung gebraucht wird.

Zur Steuerung des Lernprozesses bieten sich entsprechende Verfahren wie das Lernjournal bzw.-tagebuch  oder auch das Portfolio  an.

Eine Diagnose, welche die Förderung individueller Lernprozesse zum Ziel hat, nutzt vielfältige Möglichkeiten und Beurteilungsformen und behandelt die Lerner als Subjekte, indem sie deren eigene diagnostische Fähigkeiten kultiviert und sie zur Reflexion über das eigene Lernen anregt ( Lernjournal, Kompetenzraster, Selbstbeinschätzung …). (Lese-) fehler weisen auf möglicherweise fehlerhafte Strategien bzw. Lernwege hin und bieten somit Anlass zur Förderung.

Der sorgfältige Umgang mit standardisierten Verfahren sowohl was die Durchführung wie auch die Auswertung und Interpretation angeht  sollte zum Handwerkszeug eines jeden Lehrers werden. In den seltensten Fällen kann man allerdings aus den Ergebnissen standardisierter Verfahrens unmittelbar Förderung ableiten.

Um entsprechend handeln zu können, bedarf es eines hypothesengeleiteten Prozesses, bei dem es im dialogischen Austausch mit allen am Lernprozess Beteiligten (Schüler/-in, Lehrer/-in, Eltern … )darum geht, möglichst viele Informationen  zu sammeln (z.B. Beobachtungen, Gespräche, Klassenarbeiten, Hausaufgaben …), um einer exakten Einschätzung des Stands im Lernprozess nahe zu kommen.

R. Schummer-Hofmann, AfL 2010