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VGH Hessen: Kein Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte weiterführende Schule auch bei Angebot eines zweisprachigen Unterrichts

Dieser Beitrag ist abgelaufen: 21. Dezember 2008 00:00

Der VGH Hessen hat durch mehrere Beschlüsse die Beschwerden von Schülern aus dem Landkreis Darmstadt-Dieburg zurückgewiesen, die bis zur endgültigen Klärung der anstehenden Rechtsfragen vorläufig in die Jahrgangsstufe 5 eines bestimmten Gymnasiums der Stadt Darmstadt aufgenommen werden wollten.

Die Lichtenbergschule in Darmstadt bietet zusätzlichen Unterricht im Fach Englisch und ab Jahrgangsstufe 7 bis zur Jahrgangsstufe 9 einschließlich einen kontinuierlich fortgeführten zweisprachigen Unterricht in mehreren naturwissenschaftlichen Fächern an.

Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, mit der Errichtung bilingualer Unterrichtsangebote werde grundsätzlich kein eigenständiger Bildungsgang gegenüber dem herkömmlichen gymnasialen Bildungsgang eingeführt. Es handele sich in der Regel vielmehr lediglich um die Bildung von Schwerpunkten, die das jeweilige Profil einer Schule gestalten. Zwar könne ein zweisprachiges Unterrichtsangebot einer Schule im Einzelfall so viele, für eine spätere berufliche Ausbildung des Schülers bedeutsame zusätzliche Besonderheiten aufweisen, dass ausnahmsweise ein eigenständiger Bildungsgang und damit ein Anspruch auf Aufnahme gerade in diese Schule in den Grenzen der dort verfügbaren Plätze bestehe. Einen solchen Ausnahmefall hielt der Hessische Verwaltungsgerichtshof aber im konkreten Fall nicht für gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Antragsteller deshalb auf die vergleichbaren zweisprachigen Bildungsangebote der Gesamtschulen im Landkreis verwiesen.

Offen gelassen wurde die Frage, ob in einem Gymnasium ein eigenständiger Bildungsgang dann besteht, wenn dort innerhalb der kommenden Jahre neben dem deutschen Abitur auch der Erwerb internationaler Bildungsabschlüsse möglich sein sollte. Die Beschlüsse sind unanfechtbar.

Beschluss des VGH Hessen vom 11.09.2007 (Az.: 7 TG 1718/07 u.a.) - Quelle: Pressemitteilung Nr. 16/2007 des VGH Hessen vom 17.09.2007

 

Eltern bleibt keine Wahl

VON PETER HANACK

Lea hat lauter Einser. Ihre Klassenlehrerin ist von der aufgeweckten Zehnjährigen begeistert, die nahezu perfekt Englisch spricht, sich für Umweltschutz interessiert, in den Ferien die Berlitz-Sprachenschule besucht und sogar in Sport klasse ist. Die Gymnasialempfehlung war reine Formsache. Leas Wahl fiel auf die Lichtenbergschule in Darmstadt, wo man Naturwissenschaften auf Englisch lernen kann.

Dann kam die Ablehnung. Das war im Mai. Seitdem streitet Lea (alle Namen geändert) mit ihren Eltern dafür, eine Schule besuchen zu dürfen, die ihren Fähigkeiten entspricht. Die sie aber nicht besuchen darf, weil sie in Ober-Ramstadt wohnt - und zwischen Ober-Ramstadt im Landkreis Darmstadt-Dieburg und der Stadt Darmstadt eine Grenze verläuft, die zwei Schulamtsbezirke voneinander trennt.

"Lea hat Fähigkeiten, aber keine Chance, diese zu entwickeln. Sie wohnt im Dorf X, und deshalb muss sie Schule Y besuchen, egal ob das zusammenpasst oder nicht", empört sich ihre Mutter Claudia Somnick. Es hält die Unternehmerin kaum auf dem Stuhl, überzeugt, dass hier Ressourcen verschleudert werden. "Da sollen Schulen besondere Profile entwickeln, und wenn sie sie entwickelt haben, dürfen sie die Kinder nicht aufnehmen, für die diese Profile da sind," sagt sie. Und die Kinder mit ihren besonderen Neigungen und Fähigkeiten dürfen nicht die Schulen besuchen, die zu ihnen passen. Weil es die Behörden, weil es das Gesetz so nicht will.

Familie Somnick hatte aus lauter Verzweiflung sogar den Wohnsitz schon einmal nach Darmstadt verlegt. "Für einen Tag", wie Claudia Somnick erzählt. Um dann doch den "normalen" Weg zu gehen, den Weg der guten Argumente für freie Schulwahl - wenn nötig durch die gerichtlichen Instanzen, für das Recht auf beste Bildung. "Wer, wenn nicht wir, soll so etwas durchfechten?", fragt sie.Hier Musik, dort Mathematik

Die Frage, wie frei die Schulwahl ist, berührt viele Eltern. Und ihre Zahl nimmt zu. In den vergangenen Jahren haben die Schulen sich immer weiter auseinander entwickelt. Bieten die einen Musikklassen an, fördern die anderen ihre Schüler in Mathematik, während wieder andere die sprachlichen Begabungen und die Kommunikationsfähigkeit schulen. Die Angebote, die Schulen heute machen, sind kaum noch miteinander zu vergleichen. Entsprechend schwer tun sich Eltern, die richtige Schule für ihr Kind zu finden - und sind mehr als enttäuscht, wenn es mit der Aufnahme dort nicht klappt.

Lea und ihre Eltern sind nicht allein geblieben. Mehrere Familien aus Ober-Ramstadt haben sich zusammengetan, Briefe an Schulamt und Kultusministerium geschrieben, gewartet, gehofft, geklagt, die meisten haben kapituliert. Silvia Schaus nicht. Aber ihre Hoffnungen schwinden, dass der Staatsgerichtshof ihre dort anhängige Klage noch in ihrem Sinn entscheiden könnte. "Wer die beste Ausbildung für sein Kind will, muss sie sich wohl selbst privat schaffen", bilanziert sie. Ihre Tochter Charlotte, Einser-Schülerin und wie Lea perfekt in Englisch, denkt noch immer gerne an die Probestunde an der Lichtenbergschule zurück - dort, wo sie jetzt sei, sei es langweilig, sagt das Mädchen, dem Schule früher viel Spaß machte. Und sogar die als hochbegabt getestete Eva, Tochter von Michaele Rolffs und mit Lea und Charlotte befreundet, hat die Grenze der Schulamtsbezirke nicht überspringen können.

Lea, Charlotte und die anderen Ober-Ramstädter besuchen inzwischen eine Kooperative Gesamtschule im Kreis. Der Schulweg dorthin ist länger als nach Darmstadt. Auf die Lichtenbergschule wechseln würden sie noch immer gerne. Lea ist dafür bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Die Richter in Karlsruhe haben es abgelehnt, sich mit dem Fall zu befassen. "Vielleicht", sagt Rechtsanwältin Schwarz, die die Familien vertreten hat, "vielleicht hilft wirklich nur noch ein Umzug."

Quelle: Frankfurter Rundschau, 11.01.2008

| 21.9.2007