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Wolfsburg: Zwischenbilanz der deutsch-italienischen Leonardo-da-Vinci-Gesamtschule

Dieser Beitrag ist abgelaufen: 30. November 2010 00:00

17 Jahre nach Gründung der Deutsch-Italienischen Gesamtschule (DIGS), jetzt Leonardo-da-Vinci-Gesamtschule, läuft am 31. Juli der Modellversuch aus. Professor Uwe Sandfuchs hat die Schulentwicklung wissenschaftlich begleitet und kürzlich einen vorläufigen Abschlussbericht vorgelegt.

"Endloser Kampf um Bestand erbost Eltern"

Im WN-Interview stellt Professor Uwe Sandfuchs Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der Deutsch-Italienischen Gesamtschule vor

NORDSTADT. 17 Jahre nach Gründung der Deutsch-Italienischen Gesamtschule (DIGS), jetzt Leonardo-da-Vinci-Gesamtschule, läuft am 31. Juli der Modellversuch aus. Professor Uwe Sandfuchs hat die Schulentwicklung wissenschaftlich begleitet und kürzlich einen vorläufigen Abschlussbericht vorgelegt. Mit ihm sprach WN-Redakteurin Annika Kutscher.

Welche Situation herrschte vor der Gründung der DIGS vor?

Die Situation ausländischer Schüler war bis weit in die 80er-Jahre eher eine Art Notstandsverwaltung. Es war schnell klar, dass es nicht genügte, diesen Schülern notdürftige Deutschkenntnisse zu vermitteln. Integration setzt Erfolg in Schule und Beruf voraus. Dazu braucht es intensive Fördermaßnahmen, ein Sichwohlfühlen in der Schule und eine Akzeptanz der Herkunftssprache und -kultur. Gleichzeitig wurde deutlich, dass interkulturelles Lernen und Mehrsprachigkeit für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zu einer immer wichtigeren Kompetenz werden würde. Heute sind bilinguale Kita- und Schulkonzepte weithin akzeptiert - man schaue sich nur in Wolfsburg um.

Wie ging die Gründung vonstatten?

Im Sommer 1990 begann die Planung, auf einer Tagung wurden Leitsätze beschlossen. Eine Initiativgruppe aus italienischen und deutschen Lehrern und anderen Fachleuten erarbeitete in mehrjähriger Planung das Konzept der Deutsch-Italienischen Grundschule. Es waren damals manche Vorurteile und einiger Unverstand zu überwinden, es gab aber auch viel Unterstützung, Vertrauen und Hilfe. So akzeptierten die verantwortlichen Politiker, allen voran der damalige Kultusminister Rolf Wernstedt, und Behörden in Niedersachsen, Italien und Wolfsburg das Konzept. 1993 nahm die Schule ihren Betrieb auf.

Hat die Schule es geschafft, ihrem Anspruch gerecht zu werden?

Daran ist kein Zweifel. Erstens haben wir uns bei der Planung am Stand der wissenschaftlichen Befunde orientiert, der Erfolg in der Praxis war aber oberste Leitlinie. Zweitens ist die intensive, kompetente und verantwortliche Arbeit der deutschen und italienischen Lehrer Garant für die erfolgreiche Umsetzung und Weiterentwicklung des Konzepts. Drittens ist das bemerkenswerte Engagement der deutschen und italienischen Eltern zu nennen. Ihre Identifikation mit der Schule führte zu einer in Ausmaß und Qualität beispielhaften Mitwirkung.  

Warum gilt die DIGS bundesweit als nachahmenswertes Modell?

Die Schule bietet ein ausgefeiltes Modell eines bilingualen Unterrichts und einer interkulturellen Erziehung. Bei manchen Konzepten ist das Bilinguale randständig, das interkulturelle Lernen entsprechend gering ausgeprägt. Alle Befunde der Begleituntersuchung zeigen eine gegenseitige Akzeptanz beider Sprachen, Kulturen und Personen. Das Sozialverhalten der Schüler beeindruckt, und es ist verblüffend, wie sich das erzieherische Schulkonzept und das Schulklima auf alle Bereiche des Schullebens auswirken.

Wie denn?

Es gibt kaum die üblichen Schulprobleme wie Gewalt, Vandalismus und Drogen. Die Schulerfolgsquote ist sehr zufriedenstellend. Mit Recht wird die DIGS als eine der erfolgreichsten deutschen Reformschulen anerkannt.

Was loben Lehrer an ihrer Schule?

Sie loben vor allem die Atmosphäre, also den deutsch-italienischen Teamgeist innerhalb des Kollegiums, das Sozialverhalten der Schüler, deren zwanglosen zweisprachigen Umgang und die überdurchschnittlich gute Zusammenarbeit mit den Eltern. Sie klagen über eine hohe Arbeitsbelastung, zeigen aber zugleich eine hohe Berufszufriedenheit.

Was loben Eltern und Schüler?

Eltern und Schüler loben gleichermaßen die Schulatmosphäre, die hohe Akzeptanz der italienischen Sprache und Kultur und dass die Schule einen konsequenten, bilingualen Bildungsgang von Klasse 1 bis zum Abitur bietet.

Gibt es auch Kritik?

Keine Schule kann alle Wünsche erfüllen, und wer sich unkritisch zurücklehnt, kann nichts verbessern. So gibt es etwa Kritik an den begrenzten Fördermöglichkeiten für einzelne schwache Schüler. Scharfe Kritik üben sowohl Eltern als auch Lehrer, an dem, wie sie sagen, endlosen Kampf um den Bestand des Konzeptes, der manche müde und resignativ werden lässt. So war der Fortbestand der Schule gefährdet, als der städtische Schulbus-Verkehr eingestellt wurde. Vor allem aber ist es der Kampf um die Ausstattung mit Lehrerstunden, wie sie zum Beispiel für die Doppelbesetzung in einigen Stunden erforderlich sind - ein Kampf, der die Eltern regelrecht erbost.

Wie kann die Schule nun in eine Regelschule überführt werden?

Es muss bei den anstehenden Verhandlungen zwischen niedersächsischen Schulbehörden, Republik Italien und Stadt Wolfsburg darauf geachtet werden, dass die Kernstücke des Konzepts weiterhin realisiert werden können. Eltern, Lehrer und Schüler fürchten, dass die Schule kaputt gespart werden könnte.

Auszug: Wolfsburger Nachrichten vom 27.02.2010

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

| 27.2.2010